Münster global Kritische Stadtgeographie in globaler Perspektive

Die Afrikanische Schweinepest: Narrativ eines Virus

Eingekesselt in Belgien

Die grünen Baumwipfel wiegen sich im Wind und in der Luft liegt ein Hauch von Nadelduft. Aber: die Idylle täuscht! Die belgischen Wälder werden von Jäger_innen nach Wildschweinen durchkämmt, die den Virus – mich, die Afrikanische Schweinepest (ASP) – in sich tragen. Hin und wieder höre ich Schüsse, die die Ruhe des Waldes stören. Peng! Peng! Das macht mich ganz verrückt, diese Panik hier wegen mir. Wobei… Ich habe bis April 2019 allein in diesem Jahr in Belgien 438 Wildschweine infiziert, zählt zumindest das Friedrich-Loeffler-Institut.1 In den Zonen werden nun Wildschweine vorsorglich erschossen, denn die Menschen haben Sorge, dass ich auch Hausschweine infiziere, wenn diese in Kontakt mit Wildschweinen kommen.

Deshalb hat die belgische Regierung Schutzzonen in der belgischen Provinz Luxemburg eingerichtet. In dem Gebiet, in dem sie mich entdeckt haben:

Abbildung 1: Karte der belgischen ASP-Restriktionszonen, 2019, topagrarONLINE, https://www.topagrar.com/schwein/news/belgien-asp-flammt-wieder-auf-11526936.html (abgerufen am 09.05.2019).

Bestimmte Waldstücke dürfen nicht betreten und Wildschweine nicht gefüttert und gejagt werden, es sei denn kontrolliert. Jetzt gab es sogar Festnahmen! Jemand hat wohl nachts illegal eines der betroffenen Waldgebiete betreten und ein Wildschwein erlegt. Anderen wird vorgeworfen, infizierte Kadaver nicht gemeldet zu haben oder sogar aktiv an meiner Einschleppung beteiligt gewesen zu sein, berichten verschiedene belgische und deutsche Medien und Internetportale. Die Entdeckung von mir in Belgien hat also eine riesige Kette an Reaktionen ausgelöst.

Auch in Deutschland, Frankreich und Luxemburg herrscht schon die Sorge vor mir. Soweit sogar, dass Medien in Deutschland ganz Belgien als infiziert bezeichnen:

Abbildung 2: Deutsche Welle, “Belgien hat die Schweinepest”, 14.09.2018, https://www.dw.com/de/belgien-hat-die-schweinepest/a-45481742 (abgerufen am 09.05.2019).

Die niedersächsische Agrarministerin, Barbara Otte-Kinast, bezeichnete mich kürzlich sogar als “handfeste Bedrohung vor der Haustür”² und Dänemark baut einen Zaun an der Grenze zu Deutschland. Wobei ich die Region, die die Menschen als “Deutschland” bezeichnen, noch nicht einmal von innen gesehen habe. Das Friedrich-Loeffler-Institut schätzt die Gefahr, dass ich nach Deutschland gelange, als “hoch” ein.³ Die Sorge von Politiker_innen und Landwirt_innen ist besonders die Infektion der Hausschweine, von denen sie, genau wie ich, leben. Denn wird ein Tier infiziert, über Sekrete, Blut oder Sperma, über Speiseabfälle oder kontaminierte Gegenstände (Jagdausrüstung, Kleidung, Maschine etc.), treten innerhalb von vier Tagen die ersten Symptome auf: hohes Fieber, Anorexie,  respiratorische und gastrointestinale Symptome und Hautverfärbungen. Innerhalb einer Woche stirbt das Schwein. Dann ist beispielsweise auch der umliegende Boden infiziert, was es besonders schwer für Menschen macht, meine weitere Ausbreitung zu kontrollieren und zu verhindern.

Abbildung 3: Animal Rights Watch, “Übertragungswege der Afrikanischen Schweinepest”, 17.01.2018,
https://www.ariwa.org/wissen-a-z/archiv/wissen-archiv/34-wissen-a-z/1542-politik-treibt-ausbreitung-der-schweinepest-voran.html (abgerufen am 10.05.2019).

Die weite Reise nach Europa

Unsere Reise begann südlich der Sahara. Wo genau weiß ich nicht. Selbst war ich nie dort. Ich kenne nur die Geschichten meiner Vorfahren. Von unbegrenzten Weiten, von Warzen-, und Buschschweinen, die nicht direkt umfallen, wenn man ihnen einen kurzen Besuch abstattet. Und vom Reisen mit der Lederzecke. So reist ein Virus mit Klasse – nicht wie in diesem unzivilisierten Europa mit dem ‚Wurstbrot‘. Hierhergekommen sind wir, so erzählt man sich, mit dem Schiff. Wie genau, dazu kann ich nichts sagen, wahrscheinlich über Lebensmittel von den Menschen verschleppt. Ich weiß nur, zum ersten Mal europäischen Boden betraten wir in der georgischen Hafenstadt Poti, eine wunderschöne Stadt am Schwarzen Meer. Mit mildem Klima und einer aufregenden Geschichte. Es grenzte für uns freiheitsliebende Viren fast an eine Revolution. Vor uns lag die ganze Welt. Wir waren nun nicht mehr angewiesen auf die Lederzecke, die zwar eine majestätische, aber in ihrer Reichweite stark beschränkte Fortbewegungsart war. Nun reisten wir per Straße, per Flugzeug und per Schiff, frei um die Welt. Fuhren mal bei einem Schlager-hörenden Trucker Ende-60 auf seinen geräucherten Würstchen mit, fuhren mit der Cosco um die Welt oder landeten beim Camping der Familie Kusnezow über das Brötchen der kleinen Jelisaweta im Unterholz. Dort entdeckten wir etwas völlig Neues für uns: das Wildschwein. Dieses seltsame Geschöpf war so wie unsere Bekannten aus der Heimat, aber doch auch anders. Es frisst alles, vermehrt sich schnell und liebt das Leben nah am Menschen. Es blieb für uns aber nur eine Möglichkeit des Reisens, manchmal brachte es uns aber zu seinen seltsamen Verwandten, die aber immer durch einen Zaun getrennt waren. Vorrangig bewegten wir uns über die Menschen fort. So schafften wir es auch uns im Norden Russlands auszubreiten und das Baltikum, Tschechen und Polen in schnellem Tempo für uns zu gewinnen. Auch nach China, Brasilien, Kuba, Italien und so weiter hat es meine Familie verschlagen. Die europäische Region betraten wir 2014 über Litauen und haben uns mittlerweile ziemlich breit gemacht. Wirklich gemerkt, dass wir nicht erwünscht sind, haben wir auch erst während dieser Zeit. In Rumänien haben zwei Cousins von mir dies mit dem Leben bezahlen müssen und nicht nur sie, sondern auch alle Schweine, denen sie einen Besuch abgestattet haben. In Polen haben sich die Maßnahmen auch verstärkt. Meine Reise wurde zunehmend von Warnhinweisen über mich frequentiert. Für immer mehr von uns endete die Reise in Leichensäcken für Wildschweine. Aber habe ich jemals einem Menschen etwas getan? Hierher nach Belgien bin ich eher zufällig gekommen. War in einem Wildschwein, das nach einem lauten Knall plötzlich tot umfiel. Ich dachte, mein Ende sei nun auch gekommen. Würde enden in irgendeinem Kühlhaus, um dann verbrannt zu werden. Zu meinem Glück war mein Jäger nicht der gründlichste seiner Zunft, wodurch ich in die Lunch-Box seines belgischen Vetters gelang. Zeitweise hätte ich mir zwar gewünscht, ich wäre tot, da ich sechs Stunden am Stück Britney Spears ertragen musste, aber zu meinem Glück mochte mein Fahrer die Wurst nicht sonderlich, so wurde ich auf der ersten Raststätte in Belgien entsorgt. Und jetzt sitze ich hier. Eingesperrt.

Hier auf der übersichtlichen Karte des Friedrich-Loeffler-Instituts könnt ihr meine bisherige Reise verfolgen:

https://www.fli.de/de/aktuelles/tierseuchengeschehen/afrikanische-schweinepest/karten-zur-afrikanischen-schweinepest/

Ein Loblied auf die offenen Grenzen

Jetzt bin ich irgendwo hier in Belgien, eingekesselt in menschliche Schutzmaßnahmen, eingegrenzt in “Biosecurity”-Zonen, erlassen durch irgendwelche internationalen Organisationen, die den Regierungen vorschreiben wie sie mit mir zu verfahren haben. Seit einigen Jahren scheint nicht nur durch mich eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf Schutzmechanismen zu entstehen, die das Gute vom Schlechten trennen sollen und die somit den Menschen, seinen begrenzten, individuellen Körpern, vom Schlechten – also von gefährlichen nicht-menschlichen Akteuren – absichern sollen. Foucault nennt dies eine biopolitische Gouvernementalität, “eine Angelegenheit der organisierten Zirkulation, deren gefährliche Elemente eliminiert werden, indem eine Trennung zwischen guter und schlechter Zirkulation gemacht wird durch eine Maximierung der guten Zirkulation während die schlechte verringert wird”4 . Eine neue Art der globalen Zirkulation von Wissen und Technologien, wie man mich und meine Familien bekämpft, scheint zu entstehen. Die besten Techniken und “best-practice”- Maßnahmen werden gewinnbringend verkauft. Sogar Regierungen sind hinter diesen her und setzen Wissenschaftler_innen dafür ein, Sicherheitsmaßnahmen zu entwickeln, die Grenzen besser schützen sollen. Das neoliberale Paradigma scheint auch hier nicht Halt zu machen und sogar die Sicherheitsdebatten zu vereinnahmen. So viel zu Freihandel, offenen Grenzen und Globalisierung. Geschlossene Grenzen in der EU war doch nicht das, was sich die Gründerväter damals gedacht haben und dennoch hat Dänemark nun einen Zaun an die Grenze von Deutschland gebaut, um den Fluss von gefährlichen “Dingen” zu vermeiden. Ob das wirklich hilft? Vor allem, wie wollen denn die Grenzen bzw. die Menschen, die sie hochziehen, entscheiden, was “schlecht” ist und demnach draußen bleiben muss und was “gut” ist und ins Land rein darf? Bin ich so böse, dass ich nun in diesen Grenzen leben muss? Dabei kann ich den Menschen doch gar keinen gesundheitlichen Schaden zufügen! So muss sich ein Geflüchteter fühlen, der nach Europa möchte, aber nirgendwo aufgenommen wird.5

Was mich aber noch wundert ist, dass die Menschen ernsthaft glauben, dass sie mich mit diesen kleinen Sicherheitsmaßnahmen, wie Grenzen und Kontrollen aufhalten können. Dabei sind sie es doch, die mich mitschleppen, wenn sie auf Reisen gehen, was sich heutzutage wohl kaum noch einer verbieten lässt. Für mich hat diese sogenannte Globalisierung auf jeden Fall mehr Möglichkeiten und Freiheiten gebracht!

Was mich aufhalten soll…

Das Friedrich-Loeffler-Institut hat notwendige Schutzmaßnahmen gegen mich aufgeführt, die sich hauptsächlich auf Hausschweine beziehen. Die Landwirt_innen sollen keine Speiseabfälle verfüttern, zwischen Straßen- und Stallkleidung wechseln und die Hände waschen und desinfizieren, sobald sie einen Stall betreten und ihn verlassen. Das Futter für die Hausschweine muss sicher aufbewahrt werden, sodass keine Wildschweine es erreichen könnten, das Gelände gegen das Eindringen von Unbefugten oder Wildschweinen abgesichert, Geräte und Maschinen desinfiziert sein. Stirbt ein Schwein, muss es in einem geschlossenen Behälter aufbewahrt werden. Ganz verrückt: laut der Schweinepestverordnung von 1988 müssen im Falle eines begründeten Verdachts von Schweinpest oder Afrikanischer Schweinepest in einem Stall, alle Tiere des Betriebes getötet werden.

Nächstes Ziel: Schweine-Paradies Münster?

Ein Traum-Reise-Ziel habe ich aber noch: Münster! Dies soll eine der “leistungfähigsten Veredelungsregionen der Erde”6 sein. Im Münsterland allein gibt es doppelt so viele Schweine wie Einwohner! 4,4 Millionen Schweine in 4350 Betrieben.7 Ein wahres Paradies muss das sein! Ich hätte schon Lust, diese idyllische Fahrrad-Stadt mal so richtig aufzumischen. Es scheint fast, als würden sie mich schon erwarten: Es wurde bereits ein Krisenstab in Münster eingerichtet. Auch wurden just Landwirt_innen und alle Beteiligten an der Schweinezucht und Fleischverarbeitung bei dem Workshop “Afrikanische Schweinepest – richtig agieren vor und während der Krise”8 geschult.

Mir kam zu Ohren, dass lokale Medien über mich und meine Kumpanen berichten als stünde ein wilder Reitertrupp vor den Toren der Stadt Münster. Für den “Krisenfall” seien Sperrbezirksgrößen festgelegt und Warnschilder und Darksites für die Verbreitung von Informationen vorbereitet worden.9 Für mich klingt das Ganze als seien die Vorbereitungen für meinen pompösen Einzug ins Münsterland in vollem Gange. “Bräche die Seuche aus, wäre das dramatisch”10, dabei bin ich doch noch so weit weg und ob ich es je ins schöne Münster schaffe, ist ungewiss. Doch versteht niemand, dass doch eigentlich gar nicht ich das Problem bin? Es ist nur eine Frage des Umgangs mit mir. Und das hat vor allem der Mensch selbst zu verantworten.

Abbildung 4: Sächsische Staatskanzlei, “Afrikanische Schweinepest (ASP)”, 17.09.2018,
https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/22856 (abgerufen am 10.05.2019).

Fußnoten

1 Friedrich-Loeffler-Institut, “Ausbruchszahlen 2019”, 07.05.2019, https://www.fli.de/de/aktuelles/tierseuchengeschehen/afrikanische-schweinepest/ (abgerufen am 09.05.2019).

2 Deutsche Welle, “Belgien hat die Schweinepest”, 14.09.2018, https://www.dw.com/de/belgien-hat-die-schweinepest/a-45481742 (abgerufen am 09.05.2019).

3 Friedrich-Loeffler-Institut, “Qualitative Risikobewertung zur Einschleppung der Afrikanischen Schweinepest aus Verbreitungsgebieten in Europa nach Deutschland”, April 2019, https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00021550/ASP_Risikobewertung_2019-04-30.pdf (abgerufen am 09.05.2019).

4 Foucault M. (2007): Security, territory, population: lectures at the College de France, 1977–78 Palgrave Macmillan, Basingstoke.

5 Barker, Kezia (2015): Biosecurity. Securing circulations from the microbe to the macrocosm. In: The Geographical Journal 181 (4), S. 357–365. DOI: 10.1111/geoj.12097.

6 Lammers, Marianne und Becker, Thorsten (2014): “Landwirtschaft im Münsterland. Daten – Fakten – Analysen”, Landwirtschaftskammer NRW , 2. Auflage, S. 12. https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/landentwicklung/raumplanung/pdf/landwirtschaft-muensterland.pdf (abgerufen am 09.05.2019).

7 Ries, Elmar, “Münsterland hat die meisten Schweine”, Westfälische Nachrichten, 13.02.2017, https://www.wn.de/Muensterland/2017/02/2696491-Statistische-Landesamt-IT-NRW-Muensterland-hat-die-meisten-Schweine (abgerufen am 09.05.2019).

8 Deutscher Bauernverband, “Einladung zum Workshop Afrikanische Schweinepest – richtig agieren vor und während der Krise”, 06.02.2019,
https://www.raiffeisen.de/sites/default/files/2019-01/Programm%20ASP%20Workshop%20M%C3%BCnster.pdf (abgerufen am 09.05.2019).

9 Ries, Elmar, “Münsterland-Kreise üben den Ernstfall”, 11.11.2018 https://www.wn.de/Muensterland/3544951-Afrikanische-Schweinepest-Muensterland-Kreise-ueben-den-Ernstfall (abgerufen am 09.05.2019).

10 Ries, Elmar, “Münsterland-Kreise üben den Ernstfall”, 11.11.2018 https://www.wn.de/Muensterland/3544951-Afrikanische-Schweinepest-Muensterland-Kreise-ueben-den-Ernstfall (abgerufen am 09.05.2019).

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