Münster global Kritische Stadtgeographie in globaler Perspektive

Die Stadt Münster zwischen Westfälischem Frieden und Militarismus

Leonard Beving und Michael Wiegand

Ein Interview mit Dr. Bernd Drücke, Mai 2019

Frage: Münster inszeniert sich als Stadt des Westfälischen Friedens. Wie würdest du als Aktivist der Friedensbewegung dies beurteilen?

Drücke: Aus historischer Sicht ist diese Einschätzung nicht ganz falsch, da in Münster (und Osnabrück) 1648 der Westfälische Frieden abgeschlossen wurde. Auf der anderen Seite steht dem aber die starke militaristische Tradition der Stadt Münster gegenüber. Münster war schon immer eine Militärstadt, so spielte es eine finstere Rolle während des Ersten Weltkriegs, in dem Münster nicht nur als wichtiger Militärstandort diente, sondern auch riesige Gefangenenlager beherbergte. Eines davon befand sich zwischen der heutigen Schoppe und der Germania-Brauerei, allerdings erinnert dort heute nichts mehr daran, dass hier früher eine große Anzahl Kriegsgefangener inhaftiert waren.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden rund 60 Prozent der Stadt zerstört, da Münster als Garnisonsstadt eine kriegswichtige Rolle spielte.

Die Ambivalenz der Stadt wird aber nicht nur anhand der Historie deutlich. So gibt es auch heute noch eine aktive antimilitaristische Szene, die gegen Militarisierung und für die Abschaffung der Bundeswehr und aller Armeen eintritt. Andererseits ist in Münster aber auch das Deutsch-Niederländische Korps (DNC) stationiert, das eine Eliteeinheit der NATO darstellt und eine Zeit lang zum Beispiel auch die Führungsfunktion im Afghanistankrieg innehatte. Mit der Einrichtung der Schnellen Eingreiftruppe der NATO, die ebenfalls in Münster stationiert ist, ist es der NATO nicht nur möglich innerhalb von 48 Stunden einen Krieg zu organisieren, sondern diesen auch an verschiedenen Orten gleichzeitig zu führen. Die Koordinierung und Planung von Kriegen von Münster aus wird durch das Vorhandensein einer multinationalen Truppe noch erleichtert, allerdings macht es Münster auch zu einem potentiell attraktiven Ziel für Anschläge.

Dass Münster keine wirkliche Stadt des Friedens ist, zeigt sich auch darin, dass über die gesamte Stadt verteilt Kriegsdenkmäler stehen, allein an der Promenade sind es 23. Diese verklären oft die Geschichte und verherrlichen Kriegsverbrechen und Völkermord. 

Frage: Du hast gesagt die Rolle von Münster ist ambivalent und hast auch auf Sichtbarkeit des Militärs und der militaristischen Geschichte in Form der zahlreichen Kriegsdenkmäler hingewiesen. Dabei sind die meisten Denkmäler ja sehr alt und zeigen mehr die Vergangenheit an, als die Gegenwart. Inwieweit würdest du sagen, sind die aktuellen militärischen Strukturen in Münster heute sichtbar oder unsichtbar?

Drücke: In den letzten Jahrzehnten hat die Bundeswehr, und auch das DNC hier in Münster versucht sich ein besseres Image zu geben oder sich als „alternatives“ Militär darzustellen. Es gab da z.B. in den 90ern, auch im Zuge des Jugoslawienkrieges der NATO, Soldatenspaziergänge, bei denen Militärs durch die Stadt spaziert sind und Panzer auf öffentliche Plätze gestellt wurden, an denen dann dort Kinder gespielt haben. So hat die Bundeswehr versucht sich einerseits als harmlos darzustellen und andererseits auch als sehr verbunden mit der Stadt Münster. In den letzten Jahren versucht der „Karriere Treff Bundeswehr“ mit Panzern, Sandkästen und vermeintlichem „Abenteuerspiel“ beim Münsteraner Stadtfest Jugendliche dazu zu bewegen, sich beim BUND zu verpflichten. Nicht ohne unseren Protest. Letztlich wird durch solche Imagekampagnen versucht, das Militär und auch den Krieg als etwas Normales darzustellen, was es nicht ist und nicht sein darf. Man hätte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Entmilitarisierung beibehalten sollen, anstatt die Bundeswehr, die ja erst „neue Wehrmacht“ hießen sollte, in die NATO aufzunehmen. Und auch wenn der Name dann geändert wurde, ist die Bundeswehr 1955 ganz klar von ehemaligen Wehrmachtssoldaten aufgebaut worden. Entsprechend gibt es da eine lange Tradition mit andauernden Kontinuitäten auch des faschistischen Denkens. In den Medien sind zuletzt ja auch wieder einige Fälle bekannt geworden, von Nazis die innerhalb der Bundeswehr aufgeflogen sind.

Und diese Tradition zeigt sich auch bei den Kriegerdenkmälern, die eben nicht alle aus den 1920er Jahren stammen und auch nicht nur an den Preußischen Militarismus erinnern. Ganz interessant ist z.B. das Stalingrad-“Ehrenmal“ in unmittelbarer Nähe des DNC, welches 1961 geschaffen wurde und die Münsteraner Truppen der 16. Panzer-Division und der 16. Infanterie-Division, die im Zweiten Weltkrieg in Stalingrad gekämpft haben, verherrlicht. Dort haben die Bundeswehrsoldaten in den 60ern, und vermutlich auch noch in den 70ern, stramm gestanden und ihren „gefallenen Kameraden“ gedacht, die in Russland Massenmord begangen haben. Solche „Heldendenkmäler“ sind auch Beispiele für die faschistische Kontinuität, in der eben nicht den Opfern oder den Verbrechen der Wehrmacht gedacht wird, sondern im Gegenteil die Soldaten als Helden verklärt werden. Gegen diese Verklärung hilft Aufklärung und dafür muss man sich einsetzen.

Wir haben z.B. 2001 unter dem Motto „Diese Kreise stören wir gerne“ auch antimilitaristischen Protest gegen einen Großen Zapfenstreich am Schloss auf dem damaligen Hindenburgplatz (heute Schlossplatz) organisiert. Der damalige Große Zapfenstreich stellte in gewisser Weise eine symbolische Rückeroberung dieses historisch belasteten Ortes durch das Militär dar. Hier haben in der Nazizeit bei Großen Zapfenstreichen zigtausende Soldaten ihren Treueschwur auf Hitler geleistet. Deshalb war es ein Tabu, dass die Bundeswehr nun in gewisser Weise in die Fußstapfen ihrer Vorgängerarmee getreten ist. Dieser große Platz war für die Wehrmacht sehr prominent, viele Münsteraner kennen die historischen Fotos von riesigen Naziaufmärschen auf dem Platz, und von daher war es über lange Zeit im Nachkriegs-Münster nicht möglich für die Bundeswehr sich hier zu positionieren. Erst 2001 mit dem Großen Zapfenstreich, der ja als Zeremonie immer noch nahezu identisch ist mit dem bei den Preußen, mit dem im wilhelminischen Reich oder jenem im “Dritten Reich“; mit Fackel, Stahlhelm und Nationalhymne; änderte sich dies. Das ist ein weiteres Beispiel für Kontinuitäten im Militär.

Frage: Du hast die internationale Wichtigkeit des Militärs in Münster angesprochen, inwieweit würdest du sagen ist Münster denn Teil einer globalen militärischen Infrastruktur und wodurch zeichnet sich dies aus?

Drücke: Das sieht man zuerst am DNC, das ist eine von mehreren NATO-Schaltzentralen, welche installiert wurde, um gleichzeitig mehrere Kriege in unterschiedlichen Ländern führen zu können. Und das DNC wäre entsprechend in der Lage, als Korps einen kompletten Krieg zu führen. Damit haben sie auch bereits Erfahrungen gesammelt im Afghanistan Krieg, in dem sie mehrmals für ein halbes Jahr die Führung innehatten. Entsprechend ist Münster international nicht nur die Stadt des Westfälischen Friedens, sondern auch Teil der NATO-Kriegsmaschinerie, die es meiner Meinung nach zu bekämpfen gilt. Und die nicht primär der Friedenssicherung dient, sondern zur Rohstoffsicherung und für imperiale Interessen. Da hat sich in der Geschichte nicht so viel geändert und entsprechend gibt es immer noch viel zu tun für die Friedensbewegung.

Frage: Du hattest die hohe Zahl an Denkmälern angesprochen. Wie sollte man mit diesen und der historischen Verantwortung umgehen?

Drücke: An den Kriegsdenkmälern wird die militaristische und oft auch faschistische Tradition sichtbar. Ich bin dagegen, die Denkmäler einzustampfen, stattdessen wäre es wichtig, Aufklärung zu betreiben und sie zum Beispiel mit Hilfe von antimilitaristischen Kunstwerken kritisch zu hinterfragen und zu persiflieren. Ein Beispiel dazu ist das Kriegerdenkmal an der Promenade/Fürstenbergstraße, neben dem zu den Skulpturprojekten 1997 ein Kunstprojekt gegen das deutschnationale Denken installiert wurde. Die Installation von Hans Haacke „Standort Merry-go- round“ war eine gelungene Persiflage auf den in der Bevölkerung oft als „Mesentempel“ (masematte für „Arschtempel“) verhöhnten Militaristenbetonklotz, der mit seinen Schießscharten und nackten Muskelmännern die preußischen „Siege“ und die „Neuerrichtung“ des Deutschen Reiches 1871 zu verherrlichen sucht. In gleicher Größe stellte Haacke ein sich schnell drehendes, antikes Kinderkarussell hinter einen Bretterverschlag mit NATO-Draht. Innen drehte sich das Karussell, während die Nationalhymne in erhöhter Geschwindigkeit im Micky-Maus-Sound abgespielt wurde. So wurde 1997 leider nur temporär das 1909 errichtete Kriegerdenkmal mit seinen in Stein gehauenen nackten Muskelprotzen verhohnepipelt.

Ein weiteres positives Beispiel ist das Kunstwerk „Das gegenläufige Konzert“ von Rebecca Horn im Zwinger im Rahmen der Ausstellung „Skulptur.Projekte“ 1987. Dieses schafft audiovisuell eine beklemmende Atmosphäre und erinnert an die Folter der Kriegsgefangenen.

Einen Kontrast zu den Kriegerdenkmälern bildet auch die Paul-Wulf-Skulptur, die an den von den Nazis zwangssterilisierten Antifaschisten und Antimilitaristen Paul Wulf (1921-1999) erinnert.

Gut finde ich auch die Stele, die auf dem Gelände der Münsteraner Augenklinik an einen dort in der Nazizeit ermordeten Deserteur erinnert.

Leider sind diese Denkmäler in Münster Ausnahmen. Die vielen kriegsverherrlichenden Denkmäler haben meist keinerlei oder nur unzureichende Kennzeichnungen, die den historischen Hintergrund erklären. Als Beispiel möchte ich hier das Traindenkmal am Ludgerikreisel erwähnen, das den „gefallenen Helden“ des Münsteraner Train-Battaillons gewidmet ist. Das nationalistische, kriegsverherrlichende Denkmal ist sowohl den im Kolonialkrieg gegen die Chinesen, im Ersten Weltkrieg und nicht zuletzt den “heldenhaften“ Münsteraner Train-Soldaten in Deutsch-Südwestafrika gewidmet, nicht aber den Opfern des Völkermordes auf Seiten der Herero und Nama.

Zwar wurde in der Nähe des Traindenkmals nach massiven Protesten ein Schild angebracht, dieses ist aber unzureichend und auch der Begriff des Völkermordes wird nicht verwendet, denn die Taten sind bis heute von der Bundesregierung nicht als solcher anerkannt worden, da dies mit massiven Reparationszahlungen verbunden wäre.

Auch durch Protestaktionen kann mit der historischen Verantwortung umgegangen werden. Die Bundeswehr selbst reagiert manchmal auch auf solche Protestaktionen. Während mir von einem Journalisten im Zuge eines von mir angemeldeten „Gelöbnix“ in der der Münsterschen Zeitung vorgeworfen wurde, ich würde die Bundeswehr mit der Wehrmacht gleichsetzen, rief mich auch ein Presseoffizier an. Da ich dagegen war, dass auf dem damaligen Hindenburgplatz ein großer Zapfenstreich durchgeführt werden sollte, fragte er mich, ob ich denn damit einverstanden wäre, wenn es stattdessen „nur“ eine Serenade geben würde. Das war natürlich besser als die große Variante, bedeutete aber immer noch, dass es militärische Präsenz auf einem historisch belasteten Platz gab.

Ein gelungener Protest war die Aktion „Vuvuzelas für den Frieden“, da die Instrumente bei Medien und Bevölkerung ziemlich verhasst waren (und somit gut für Aufmerksamkeit sorgten). In meinen Augen ist Protest immer lohnenswert und wichtig für die Friedensbewegung.

Dr. Bernd Drücke (*1965) ist Soziologe, Autor und Redakteur bei der anarchopazifistischen Zeitung graswurzelrevolution, die für gewaltfreie gesellschaftliche Veränderungen eintritt, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte insbesondere auf den Themenbereichen Gleichberechtigung, Antimilitarismus und Ökologie liegen. Bernd Drücke selbst ist langjähriger Aktivist der Antimilitaristischen Friedensbewegung.